Keine Scheu vor toten Tieren
Die Künstlerin Cenci Goepel lässt sich von der Natur inspirieren

„Kreativtropfen. Einnahme auf eigene Gefahr! Kann bei Überdosierung zu kreativem Durchfall führen“, ist auf den kleinen, braunen Flaschen zu lesen, die im Schaufenster der Galerie 22 stehen. Kreativtropfen hat Cenci Goepel nicht nötig. Sie stellt in den Galerieräumen in der Bornstraße 22 eine Auswahl ihrer verschiedenen Künstlerarbeiten aus.

Unter den großformatigen Monodrucken und filigranen Stickarbeiten, am Computer bearbeiteten Farbfotos, Klanglandschaften in Kopfhörern und Verpackungsdesign für Tuben und Flaschen befinden sich auch Abdrücke von Tierkörpern.
„Kadavermonotonien begleiten mich seit Jahren und sind nun zum zentralen Thema geworden“, erklärt die Künstlerin. „Es sind die Abdrücke von toten Tieren. Ich will etwas von den Körpern festhalten, bevor die natürliche Vergänglichkeit jede Erinnerung auslöscht.“
Für Abdrücke von Hasen und Eichhörnchen, die die zarte und flauschige Beschaffenheit der Felle wiedergeben sollen, wählte sie weichen, schwarzen Ruß, den sie auf eine Glasplatte auftrug. Das struppige Fell einer Ziege kommt dagegen in Öl stärker herüber.

Mit ihrer Kunsttechnik stellt Cenci Goepel Sehgewohnheiten infrage. Schließlich werden beim behutsamen Abdrucken die Körperkonturen nicht vollständig erfasst und außerdem geben die Tiere im Tod ihre typische Körperhaltung auf. Das erschwert die Identifizierung über die Gestalt, die üblicherweise in Tierdarstellungen zu finden ist. „Ich will herausfinden, wie viel von einem Lebewesen bei dem angewandten Verfahren erkennbar bleibt“, sagt die Künstlerin und gibt zu: „Es ist für mich auch eine Auseinandersetzung mit dem Thema Tod.“ Mit den direkten Abdrucken von Tierkörpern dokumentiert sie sonst ungesehen bleibende Natur.

Cenci, Jahrgang 1972, ist gebürtige Lübeckerin. Sie hat einen großen Traum: „Ich möchte durch die Welt fahren und große Tiere abdrucken: Kühe, Haie, Krokodile, Elefanten!“ Auch für gigantische Körpermaße hätte sie die passende Technik. Künstlerisch sieht sie sich mit dem britischen Künstler Damien Hirst verbunden, der ganze Tierkörper in Formalin eintaucht und als Denkmale für die Natur ausstellt.

In der Fotoreihe „Selfish“ spielt die Künstlerin mit eigenen kreativen Ideen und verwandelt ihr eigenes Äußeres mit Farben und Formen. Mit irritierenden Zutaten wie fleischfarbenen Drahtspiralen, die von den Schläfen abstehen, schafft sie dreissig skurrile Mutationen von denen Sie eine Auswahl von zehn in der Ausstellung zeigt.

Ihre Verehrung für die Kreativität und Vollkommenheit der Natur zeigt Cenci Goepel in einer anderen Serie, die im wahrsten Sinne unter die Haut geht. Anatomisch genau zeichnet sie mit Nadel und Faden menschliche Organe und Körperteile nach. Pastellfarbene Garne kennzeichnen den Verlauf von Nerven, Adern und Sehnen. Zum Ausdruck kommen fünf perfekte Strukturen, wie die des Innenohres und der Mundhöhle.

Die Stickbilder schuf die Künstlerin während eines dreimonatigen Aufenthalts in Oslo. Von dort brachte sie auch die Aufnahmen für ihre Klanglandschaft mit: das fröhliche Gelächter von Atelierbesuchern und die Befehlsrufe der königlichen Palastwache beim Wachwechsel – zwei Beispiele menschlicher Kommunikation. Die Ausstellung „Cenci Goepel with wørks from Oslo“ ist noch bis April 2003 in der Galerie 22 zu sehen.

Susanne Schäffler